Vom Nazi-Aufmarsch in die Bürgerschaft?

Unter den Kandidat*innen zur Bürgerschaftswahl und im AfD-Vorstand gibt es einige bisher unbekannte Merkel-muss-weg-Aktivist*innen

Ein Gastbeitrag aus der antifaschistischen Recherche

Der Hamburger Landesverband der „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat sich bisher bemüht, sich in der Öffentlichkeit als gemäßigt zu präsentieren. Doch auch für den Hamburger Landesverband gilt: wer AfD wählt, hilft Faschist*innen und extremen Rechten ins Parlament. In der Spitze des Hamburger Landesverbandes finden sich beispielsweise Vertreter des völkisch-nationalistischen „Flügels“ oder Mitglieder extrem rechter Burschenschaften. Mehrere Personen des Landesvorstands und die Kandidatin auf Landeslistenplatz 3 nahmen an den Nazi-Aufmärschen unter dem Label „Merkel muss weg“ (MMW) teil. Auch wenn die AfD im bundesweiten Vergleich in Hamburg eher mit niedrigeren, einstelligen Wahlergebnissen zu rechnen hat, ermöglicht ihnen die Präsenz in der Hamburger Bürgerschaft nicht zuletzt den Zugang zu Geldern und Informationen, zum Beispiel über politische Gegner*innen.

Braune Flecken im Landesvorstand Hamburg …

Mit dem 5. Februar 2018 begann eine Aufmarsch-Reihe unter dem Label „Merkel muss weg“ (MMW) in Hamburg. Bereits beim ersten Aufmarsch im kleinen Kreis beteiligten sich Mitglieder der AfD, sowie Kader der NPD Hamburg und Neonazis der inzwischen aufgelösten Kameradschaft „Sektion Nordland“. Von Beginn an schlossen sich auch Mitglieder der extrem Rechten Gruppierung „Identitären Bewegung“ an. Das Organisationsteam der MMW Demonstrationen ist eng mit Mitgliedern der AfD verflochten.

Der AfD-Landesvorstand warb auf Facebook für die MMW-Aufmärsche

Nach Berichten und Analysen antifaschistischer Initiativen musste sogar der Hamburger Verfassungsschutz erklären, dass „Jeder, der dort mitmarschiert, [genau weiß], dass er mit Extremisten gemeinsame Sache macht“. Was diverse Vertreter*innen der AfD nicht davon abhalten sollte, an den Kundgebungen teilzunehmen oder sogar verantwortliche Positionen zu übernehmen. Bisher versuchte der Parteivorstand nicht allzu viel Nähe zu den MMW-Aufmärschen durchscheinen zu lassen. Doch nun scheint auch diese Linie für mindestens drei Mitglieder im Landesvorstand überschritten.

Vorstandsmitglied Eugen Seiler bei MMW, Quelle-Pixelarchiv

Eugen Seiler, Abgeordneter der Bezirksversammlung Bergedorf, wurde erst Anfang Januar im Rahmen des Landesparteitags als Beisitzer in den neuen Landesvorstand gewählt. Mehrfach nahm er bereits an den MMW-Demonstrationen teil. Ebenso besuchte Seiler ein Treffen von Flügelanhängerin Nicole Jordan im Oktober 2018 mit Gastredner André Poggenburg. Regelmäßig veröffentlicht er im Anschluss Videos von AfD-Veranstaltungen auf dem Facebook-Auftritt des Bezirksverbands. Neben Seiler wurde auch Robert Risch (stellvertretender Vorsitzender des Bezirksverband Altona) erst am 11. Januar als stellvertretender Schatzmeister in den neuen Landesvorstand gewählt. Gemeinsam mit Tobias Steinhaus (Beisitzer im Vorstand des Bezirksverbands Altona) besuchte Risch die MMW-Kundgebung am Gänsemarkt in Hamburg im Februar 2018. Für die Bürgerschaftswahl im Februar kandidiert Risch auf dem Landeslistenplatz 8.

Vorstandsmitglied Andreas-Lohner bei MMW, Quelle: Pixelarchiv

Der Dritte im Bunde ist Andreas Lohner (Schriftführer im Bezirksvorstand Wandsbek). Er wurde zum stellvertretenden Schriftführer des Landesvorstands ernannt. Politisch reiht sich Lohner in die Reihe der AfD-Kandidaten ein, die den menschengemachten Klimawandel und den Einfluss von CO2 auf das Klima leugnen. Gemeinsam mit Martin Lemke (Beisitzer im Vorstand der AfD-Eimsbüttel) besuchte Lohner MMW am 14. April 2019. Lemke wiederrum war mit Sven Freitag (vormals Beisitzer im Vorstand der AfD-Eimsbüttel) organisatorisch in den MMW-Aufmarsch eingebunden.

… und auf den Wahllisten

Neben den drei genannten Personen des Landesvorstands besuchten weitere Kandidat*innen der Landes- und Wahlkreislisten der AfD die Nazi-Aufmärsche.
Mit dem Landeslistenplatz 3 ist Monika Winkler besonders hervorzuheben. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Harald Feineis und Leiterin des Parteibüros in Harburg, hat Winkler einen schnellen Aufstieg in der AfD Hamburg geschafft. Mit der Platzierung hinter Dirk Nockemann und Alexander Wolf scheint der Einzug in die Hamburger Bürgerschaft, nach aktuellen Umfragen, gesichert. Seit dem 12. Februar 2018 nahm Winkler mehrfach an den MMW teil.

Kandidat Eckbert Sachse mit heller Mütze bei MMW am 29. Mai 2018, Quelle: Exif-Recherche

Nachdem sich Eckbert Sachse (Landeslistenplatz 10) als Fotograf auf AfD Demonstrationen versuchte, fand er mit dem Beginn der MMW-Aufmärsche in Hamburg ein neues Betätigungsfeld. Von diesen veröffentlichte Sachse Fotos und Videos in sozialen Netzwerken. Sachse versucht auch den Nationalsozialismus durch Vergleiche und Begriffsschaffungen zu verharmlosen. Ein Beispiel für dieses Handeln ist der Vergleich eines Konzertauftritts von Herbert Grönemeyer mit Goebbels und Hitler. Zur Klimapolitik äußert sich Sachse, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die AfD-Bezirksfraktion Wandsbek tätig ist, ebenfalls. Der menschengemachte Klimawandel sei  „grober Unfug“.

Kandidat Benjamin Mennerich bei MMW, Quelle:Pixelarchiv

Für den 12. Februar 2018 wurde erstmals im größeren Rahmen öffentlich für MMW mobilisiert. Von da an beteiligten sich Benjamin Mennerich (Listenplatz 13 der AfD-Landesliste und Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte) sowie der «Flügel»-Anhänger Martin Rohweder (Wahlkreisliste 9 und Bezirksvorsitzender der AfD Hamburg-Nord) regelmäßig an den MMW-Aufmärschen. Auch außerhalb Hamburgs nehmen Mennerich und Rohweder an Aufmärschen teil. Gemeinsam mit den Organisatoren der «Merkel muss weg» Demonstrationen in Hamburg, Thorsten Kempf und Reiner Bruhn, demonstrierte Rohweder beispielsweise auch im November 2018 auf einer rassistischen „Mahnwache“ in Wittenburg neben Mitgliedern der NPD.

Perücken-Fetischist, Kandidat und Anwalt: Peter Wolflast bei MMW, Quelle: Exif-Recherche

Der Rechtsanwalt für Asyl- und Strafrecht, Peter Wolfslast (Listenplatz 1 des Wahlkreis 1), versuchte seine Teilnahme an den MMW-Aufmärschen durch das Tragen von Perücken, Mützen und Sonnenbrillen zu verschleiern. Am 7. April 2018 betätigte sich Wolfslast als Organisator einer eigenen Kundgebung in Hamburg, zu der sich etwa 30 Rechte, darunter Mitglieder der AfD und NPD, mobilisieren ließen. Auch außerhalb Hamburgs zeigt sich Wolfslast bei rechten Veranstaltungen, wie bei einer Konferenz von dem rechten Magazin «Compact» in Berlin.

Der Dritte Kandidat des Bezirks Mitte, Michael Tauck (Platz 2 der Wahlkreisliste 1 und Abgeordneter der Bezirksfraktion Hamburg-Mitte), zeigt sich in sozialen Medien deutlich als Faschist. Tauck wünscht sich Höcke als Parteivorsitzenden, liked die Facebook-Seite des „Flügels“ und teilt dessen Beiträge. Mit der Aussage „Unserer Bezirk Hamburg Mitte verleiht Hamburg Flügel“ spiegelt Tauck den Zustand des Bezirksverbands wieder. Bis heute beteiligt Tauck sich sehr rege in der Facebook Gruppe von MMW. Seine Begeisterung für das 3. Reich zeigt er mit einem Lied der bekannten Neonaziband „Sturmwehr“. Doch es bleibt nicht bei der Begeisterung für extrem rechte Bands. Die Wehrmacht verklärt er zu „Helden“, die keine Verbrechen begangen hätten und den Nazi-General Erwin Rommel bezeichnet er als „einer der größten Helden der Deutschen Geschichte“.

Eine Wahl-Alternative auch für Faschist*innen

Vor wenigen Tagen konnte in Thüringen alle Welt beobachten mit welch perfiden Methoden die selbsternannte „Mitte“ aus FDP und CDU der Partei um den Faschisten Björn Höcke zu Macht verholfen hat. Das Vorgehen war entgegen der Eigendarstellung kein unvorhersehbarer Coup der AfD, sondern der bewusste Versuch der „bürgerlich-liberalen“ Koalition die Grenzen nach rechts aufzuweichen. Geschlossen im Kampf gegen alles was politisch links erscheint. Auch in Hamburg taktierte die FDP bereits inhaltlich mit der AfD und stimmte als einzige Hamburger Partei 43 mal Anträgen der AfD zu.

Im Vorfeld der Thüringen Wahl riefen prominente Neonazis wie der NPD-Kader und militante Neonazi Thorsten Heise dazu auf die AfD zu wählen. Auch in Hamburg gab es bereits Berührungspunkte zwischen AfD und NPD auf den „Merkel muss weg“ Kundgebungen. Zur Bürgerschaftswahl 2020 tritt die NPD Hamburg allerdings nicht an. Ihre Anhänger*innen dürften diesmal die AfD wählen.

Die AfD gibt nach außen durch Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber extrem rechten Organisationen wie der „Identitären Bewegung“ vor, sich aktiv von diesen abzugrenzen. In der Praxis ist die AfD aber zu einem lukrativen Arbeitgeber für genau diese Protagonisten geworden, die Zusammenarbeit findet in den Parlamenten, Parteibüros und eben auch auf der Straße statt. Wer die AfD wählt, tut dies nicht aus Protest oder Unwissenheit, sondern genau deshalb, weil die AfD bewusst rassistische Inhalte transportiert und die Flanken bis in den Neonazismus hinein offen hält.