Hauptsache bürgerlich! Wie sich die AfD als harmlos zu tarnen versucht

Die AfD Hamburg ist bemüht, ihrer Partei vor der Bürgerschaftswahl einen biederen Anstrich zu verpassen. Sie passt sich damit nahtlos in die Strategie der Bundes-Parteispitze ein. Wichtig dabei: das Etikett „bürgerlich“. Spätestens seit der Wahl in Brandenburg, in der der extrem rechte „Flügel“ stark wurde, platzieren Alice Weidel und Alexander Gauland den Begriff massiv als Selbstbezeichnung. Diese Strategie der „Selbstverharmlosung“ geht auf den extrem rechten Strategen Götz Kubitschek zurück, wie die Sendung Monitor kürzlich gezeigt hat.

Auch in Hamburg wird der Begriff „bürgerlich“ exzessiv gesetzt. Dahinter steckt die Logik, dass Behauptungen geglaubt werden, wenn man sie nur häufig genug in der Öffentlichkeit wiederholt. AfD-Watch Hamburg zeigt, wie diese aus dem Marketing entnommene Strategie funktioniert: am Beispiel der Wurf-Zeitung „Uns Hamburg“, mit der die AfD ungefragt viele Haushalte bestückt.

„Uns Hamburg“: Wurfsendung der „bürgerlichen“ Selbstverharmlosung

Die Scheinidentität einer gemäßigten Partei soll – so das Ziel – die AfD bis ins konservative Milieu hinein wählbar machen. In der gerade frisch erschienenen Wurf-Zeitung „Uns Hamburg“* postuliert der parlamentarische Geschäftsführer Detlef Ehlebracht bereits im Vorwort, den Anspruch der AfD als einzige Partei bürgerliche Interessen zu vertreten: „Die AfD-Fraktion sitzt nun seit viereinhalb Jahren in der Hamburgischen Bürgerschaft. Seitdem vertreten wir dort bürgerliche Interessen gegen den erbitterten Widerstand der Altparteien, und wir sind gekommen, um zu bleiben.“ In der Pressemitteilung, die das Erscheinen des Gratisblattes flankiert, geht Ehlebracht noch mehr in die Vollen: „Bürgerlich, freiheitlich und garantiert politisch inkorrekt! Die von vielen Bürgern heiß ersehnte neue UNS HAMBURG ist endlich da. Immer mehr Bürger bestätigen unseren freiheitlichen-konservativen Kurs. Denn wir sind das Korrektiv zu der falschen Politik der anderen Fraktionen und die echte Alternative für die Interessen der Bürger Hamburgs.“

Die Betonung des Bürgerlichen ist auch eine Lieblingsdisziplin des noch Co-Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolf: „Die Hamburger AfD-Fraktion vertritt eine bürgerlich-konservative Politik. (…) Die AfD-Fraktion setzt sich für eine bürgernahe Politik ein. Wir stehen für gesunden Menschenverstand statt Ideologie. Wir nehmen den Willen der vielen Wähler und Nichtwähler ernst, die sich von den Altparteien nicht mehr vertreten fühlen.“ (Vorwort von „Uns Hamburg“, Ausgabe 3)

Des Volkes Stimme“ – nur von der AfD hörbar

In der aktuellen Ausgabe werden denn auch auffällig viele „Bürgerstimmen“ vorgestellt, die euphorische Statements zur AfD-eigenen Veranstaltungsreihe „Fraktion im Dialog“ abgeben. Die Zitate wirken wie direkt aus der Werbetrommel gezogen. Da schwärmt eine Barbara F. (deutsch klingender Name): „Es ist Balsam für meine Seele. Die Bandbreite an Referenten ist wirklich beeindruckend und die Vorträge sind sehr informativ. Ich gehe jedesmal mit einem guten Gefühl nach Hause.“ Klaus P. (deutsch klingender Name) ist voll des Lobs und bringt auch noch – wie praktisch – die vermeintlichen Teilnehmendenzahlen in seinem Statement unter: „Ich bin von Anfang an dabei. Einfach klasse, wie sich dieses Format entwickelt hat. Anfänglich im Jahr 2015 saßen wir hier mit 40 Bürgern zusammen. Und heute füllt die AfD-Fraktion den Großen Festsaal mit über 500 Personen. Großartig!“ Auch Engin Ö. (türkisch klingender Name, sicher kein Zufall) ist begeistert: „Ich sehe die AfD durchaus kritisch, aber man muss sich inhaltlich und thematisch mit ihr auseinandersetzen. Und das klappt erstaunlich gut, sogar AfD-Kritiker kommen bei Fraktion im Dialog zu Wort. Das finde ich wirklich gut.“

Hier würde mensch gerne mal in die Originalaufnahmen dieser so genannten „Bürgerstimmen“ reinhören. Ähnlich wie beim Lehrer*innen-Petzportal „Neutrale Schule“ arbeitet die AfD hier mit einer Black Box von Hinweisen & Informationen, die sie direkt von Hamburger*innen bzw. Schüler*innen erhalten haben will. Diese besonderen Quellen sind allerdings nur der rechtsaußen Partei selbst zugänglich: „Volkes Stimme“ mit Copyright der AfD.

Was ist eigentlich „bürgerlich“? Die AfD jedenfalls nicht

Für den anstehenden Bürgerschaftswahlkampf möchten wir dazu einladen, jedes „bürgerlich“ in AfD-Reden und Verlautbarungen zu zählen: Ein Bingo rund um diese inflationär behauptete „Bürgerlichkeit“. Wir sind sicher, dass das Wort auf der Hitliste ganz weit oben landen wird, vielleicht direkt gefolgt von dem Wort „Altparteien“. Dass die in „Uns Hamburg“ recht albern wirkende Massenbombardierung mit dem Etikett „bürgerlich“ leider medial oft aufgeht, zeigte sich nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Journalist*innen bezeichneten die AfD in Interviews selbst als „bürgerlich“.

In der Folge entspann sich eine umfassende Debatte um die Frage, wer oder was eigentlich als bürgerlich zu bezeichnen sei. Ein Begriff für eine Klasse, für ein soziokulturelles Milieu, eine politische Richtung? Alban Werner hat die entsprechenden Feuilleton-Beiträge analysiert, von Alexander Gauland in der WELT bis Peter Altmaier (CDU) in der FAZ.

Innerhalb der wohl insgesamt als bürgerlich zu bezeichnenden Parteienlandschaft der Hansestadt Hamburg stellt sich die Frage, wie gut die Strategie der Selbstverharmlosung der AfD aufgehen wird. Die Schill-Partei, in der Dirk Nockemann seine ersten politischen Meriten sammelte, setzte eher aufs Populistisch-Polterige; die völkisch-nationalistische NPD konnte in Hamburg parlamentarisch nie richtig Fuß fassen. CDU-Vertreter*innen wollen auch immer mal wieder die Rote Flora schließen. Braucht die Hansestadt noch eine Partei, die unter dem Label „bürgerlich“ rassistische, antifeministische und gegen Links polarisierende Politik macht?

*AfD-Watch Hamburg verlinkt nicht auf AfD-eigene Internetseiten und Publikation.