Antisemitismus (bis 2020)

Mit Rechtsextremen gegen Judenhass? Die Hamburger AfD

Gastbeitrag von Markus E. Schmidt*

AfD: Mit völkischem Nationalismus Antisemitismus bekämpfen?

Das passiert nicht alle Tage: Ende September 2018 trat der Fraktionsvorsitzende der Hamburger AfD, Jörn Kruse, nicht nur von seinem Amt zurück, sondern verließ zugleich die Partei. Seinen prominenteren Kollegen Alexander Gauland und Björn Höcke warf er in einem Spiegel-Online-Interview vor, sie benutzten dieselbe Sprache wie die NSDAP (Hamburger AfD-Fraktionschef über seine Partei: „Das war Nazi-Sprech“ (Spiegel Online, 20.11.2018). Im gleichen Monat waren Höcke und der brandenburgische AfD-Vorsitzende Andreas Kalbitz in Chemnitz mit Hooligans, stadtbekannten Neonazis, Lutz Bachmann von Pegida und Neuen Rechten wie Götz Kubitschek durch die Stadt marschiert. Ebenfalls im September 2018 hatte die Hamburger AfD für die Hansestadt die Stelle gegen Antisemitismus gefordert (Drucksache 21/14280). Meint die Hamburger AfD das ernst: mit Neonazis Antisemitismus bekämpfen?

Obwohl judenfeindliche Aussagen aus den Reihen der AfD seit ihren Anfängen bekannt sind, rückte der Antisemitismus bei kritischen Beobachter*innen erst mit Verspätung in den Fokus. (1) Spätestens mit der vom Zentralrat der Juden in Deutschland und anderen jüdischen Organisationen unterzeichneten „Erklärung gegen die AfD“ vom Oktober 2018 kann sich die AfD kaum noch glaubhaft als „Garant jüdischen Lebens“ darstellen (Gemeinsame Erklärung gegen die AfD! AfD – keine Alternative für Juden!, 4. Oktober 2018).

Für antisemitische Positionen in der AfD gibt es vier Ursachen: erstens der Versuch der AfD, die Bedeutung der Nazi-Vergangenheit herunterzuspielen; zweitens die Bagatellisierung der Gefahr durch militante Rechtsextreme in der BRD, wie in der Erklärung der Hamburger AfD-Fraktion zur sogenannten „Antidiskriminierungskampagne“ vom Juni 2017 (2); drittens ein biologistisches Menschen- und zum Teil völkisches Weltbild; viertens antisemitische Verschwörungstheorien wie die, der US-amerikanische Milliardär George Soros steuere die angeblich migrationsfreundliche EU-Politik.

Antisemitische Positionen gehören von Beginn an zur AfD

Die Hamburger Partei tut so, als unterschiede sich „der Hamburger Kurs“ wesentlich von den völkischen Positionen in der AfD. Doch im Herbst 2018 lud die Schatzmeisterin und Bezirksvorsitzende von Hamburg-Mitte, Nicole Jordan, André Poggenburg in ihr Privathaus ein, damit er dort geschützt auftreten kann (Protest gegen die AfD: Große Gegendemo bei Poggenburg-Auftritt in Wilhelmsburg, Morgenpost, 18. Oktober 2018).

Alexander Wolf, heutiger Fraktionsvorsitzender der Hamburger AfD, ist Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Danubia und hat in den 1990er Jahren ein Liederbuch herausgegeben, in dem auch Hymnen der Hitler-Jugend abgedruckt sind. Für die Hamburger AfD gilt also, was der Historiker Michael Wildt in seiner Studie Volk, Volksgemeinschaft, AfD bereits über die Partei unter Frauke Petrys Führung feststellte: Sie arbeite an einer „Entsorgung“ der deutschen Geschichte, indem sie so tut, als könnten Bestandteile der Nazi-Ideologie eine harmlose, „vom Nationalsozialismus unabhängige Bedeutung“ haben.

Und wie hält es die Hamburger AfD mit dem nördlicheren Landesverband? 2019 war in Schleswig-Holstein Doris von Sayn-Wittgenstein zur Vorsitzenden gewählt worden, zu derem Freundeskreis, wie die tageszeitung im August dieses Jahres berichtete, das ganze Spektrum der extremen Rechten gehört, von ehemaligen SS-Mitgliedern bis zu Verfechter*innen einer Reichsideologie. Sayn-Wittgenstein unterstützte nicht nur den rechtsextremen Verein „Gedächtnisstätte“, sondern plauderte auf einer Compact-Konferenz freimütig über ihren politischen Werdegang (Andreas Speit: Parteiausschluss für Landesvorsitzende. AfD schiebt Sayn-Wittgenstein ab, tageszeitung, 28. August 2019).

Wolf bagatellisiert die Gefahr durch militante Rechtsextreme

Als die Hamburger AfD 2018 für den Stadtstaat eine eigene Antisemitismusbeauftragtenstelle forderte, hätte sie bereits viel gegen Judenhass von AfD-Mitgliedern und von Neonazis tun können. Martin Hohmann, den die CDU 2003 wegen seiner geschichtsrevisionistischen Rede ausgeschlossen hatte, sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag, Wolfgang Gedeon, der sich sogar auf die antisemitische Fälschung Die Protokolle der Weisen von Zion beruft, ist nach wie vor Mitglied der Partei. In Chemnitz war Ende August 2018 das jüdische Lokal von Vermummten angegriffen worden, wenige Tage vor dem Aufmarsch der AfD-Prominenz mit Neonazis.

Noch im Juli 2018 vertrat die Hamburger AfD hingegen die Ansicht, dass „der in den Medien gern beschworene sogenannte ‚rechte‘ Antisemitismus wohl ein aufgebauschtes Problem“ sei. Dabei hilft der AfD das schlechte Gedächtnis der Mehrheitsgesellschaft und eine bemerkenswert träge deutsche Innenpolitik. Dass eine Münchner Nazi-Gruppe Anschläge 2003 auf jüdische und muslimische Einrichtungen und Einzelpersonen vorbereitete, geriet ebenso schnell in Vergessenheit wie die vielen rechtsextremen Vorfälle in West- und Ostdeutschland vor und nach 1989.

AfD pflegt ein instrumentelles Verhältnis zu Israel

Die Bundes-AfD stellt sich gern als eine Partei dar, die solidarisch mit Israel sei. Manche sehen darin ein Indiz, dass die AfD nicht antisemitisch sein könne. Doch zum einen ist das Israel-Bild, das die AfD-Führung propagiert, ähnlich verzerrt wie das von Israel-Hasser*innen, zum anderen steht eine prozionistische Haltung nicht im Widerspruch zu antisemitischen Positionen. Als Marcus Pretzell 2017 die Partei vergeblich zu einem Bekenntnis zu Israel aufrief und behauptete, Israel sei „unsere Zukunft“, und zwar „in der Form, wie man mit dem Islam umgeht“ (Igal Avidan: „Ein einseitig instrumentelles Verhältnis zum Antisemitismus“, Deutschlandfunk, 19. Mai 2017), wollte er damit sicherlich für Deutschland keinen muslimischen Bevölkerungsanteil von rund 17 Prozent oder arabischsprachige Straßenschilder wie in Israel fordern.

Eine taktische Förderung des Zionismus von Seiten extremer Rechter ist nichts Neues. Bevor die NSDAP ihre Vernichtungspolitik begann, unterstützte sie zum Teil die Auswanderung von Jüdinnen*Juden nach Palästina, wie in der Studie Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich von Francis R. Nicosia nachzulesen. Denn damit waren diese Jüdinnen*Juden wenigstens nicht mehr im Deutschen Reich.

Wer im Jahr 2019 den Antisemitismus bekämpfen will, muss also die einzige Partei bekämpfen, die einen offen völkischen Flügel hat: die AfD. Auch die Hamburger.

*Der vorliegende Gastbeitrag ist vor dem antisemitischen Attentat von Halle (9.10.2019) geschrieben worden.

1) Stefan Dietl: Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und ‚völkischem Antikapitalismus‘, Unrast-Verlag, Münster 2017, zweite Auflage;
Stephan Grigat (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Baden-Baden 2017.
2) AfD-Watch Hamburg verlinkt generell nicht auf AfD-eigene Internetseiten und Quellen.