Die AfD und extrem rechte Aufmärsche in Hamburg

Seit Gründung der AfD versuchen vor allem deren extrem rechts orientierten Kräfte wie der Flügel diese als Bewegungspartei zu inszenieren. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen sollen sich Parteimitglieder und Sympathisant_innen als Teil einer dynamischen und kämpfenden Bewegung fühlen können. Als Partei führte die AfD von 2013 bis 2016 drei Versammlungen in Hamburg durch, die auf zunehmenden antifaschistischen Gegenprotest stießen. Inzwischen scheint sich ihre Strategie auf der Straße verändert zu haben, denn Parteifunktionär_innen aus Hamburg und anderen Landesverbänden beteiligten sich nicht nur an den extrem rechten „Merkel muss weg“- inzwischen „ Deutscher Michel, wach endlich auf“- Kundgebungen, sondern übernahmen auch organisatorische Verantwortlichkeiten und nutzten die Bühne für ihre Reden. Am kommenden Sonntag, den 29. September, will der „Deutscher Michel, wach endlich auf“-Zusammenschluss erstmalig eine Demonstration durchführen. Nachdem in der Vergangenheit die Versuche der AfD in Hamburg zu demonstrieren am antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstand scheiterten, würde eine erfolgreiche Durchführung am Sonntag das Bündnis aus AfD-Funktionär_innen, extrem Rechten und Neonazis bestärken. Denn entlang der seit 2018 laufenden Veranstaltungen wird deutlich, dass die Distanzierungen von der extremen Rechten der Hamburger AfD nur Nebelkerzen sind. Während die Zusammenarbeit und Beteiligung an den Kundgebungen weiterhin negiert wird, zielte die Öffentlichkeitsarbeit von Hamburger Parteifunktionären darauf ab, Legitimität für die Versammlungen herzustellen.
Würde die AfD Hamburg eine Distanzierung zur extremen Rechten ernst meinen, könnte sie die Teilnahme und Beteiligung ihrer Funktionär_innen an diesen extrem rechten Versammlungen, an denen auch bekannte Holocaustleugner_innen, Kader der Identitären Bewegung, Neonazis aus NPD und Kameradschaftsszene teilnehmen, unterbinden. Stattdessen wurden die Organisator_innen durch die Fraktion sogar ins Hamburger Rathaus eingeladen und Parteifunktionär_innen nutzen die Bühne um zur Wahl aufzurufen. Obwohl die extrem rechte Ausrichtung der Kundgebungen auch von staatlichen Behörden gesehen wird und verschiedene journalistische Veröffentlichungen die Beteiligung von AfD-Funktionär_innen belegen, blieb bisher der mediale Aufschrei aus, dass in Hamburg regelmäßig AfDler und Neonazis gemeinsam auf die Straßte gehen.

Sich weder zu distanzieren noch zu der Zusammenarbeit zu bekennen scheint als Strategie der AfD aufzugehen. Gegenüber der Öffentlichkeit kann sie sich weiterhin als bürgerliche Partei darstellen, während sie sich dem extrem rechten Milieu als Bündnispartnerin und relevanter parlamentarischen Arm anbietet. Momente der Begegnung gab es in den letzten zwei Jahren genug.
Rückblick: Aufmarschversuche der AfD in Hamburg
Bereits am 17. August 2013 veranstaltete die AfD anlässlich der Bundestagswahl eine Demonstration in der Hamburger Innenstadt. Mit Bernd Lucke als Hauptredner demonstrierten hunderte Teilnehmende eines damals noch von nationalkonservativ bis extrem rechts reichenden Milieus der AfD weitgehend ungestört. Als Reaktion auf den Sommer der Migration 2015 riefen die norddeutschen Landesverbände der AfD zum 31. Oktober 2015 zu einer zentralen Demonstration nach Hamburg auf. Unter dem rassistischen Motto „Gegen das Politikversagen! Asylchaos stoppen!“ fanden sich 240 Menschen zum Auftakt am Hamburger Hauptbahnhof ein. Allerdings verhinderten über 1.000 Menschen durch spontane Blockaden, dass sich die Demonstration in Bewegung setzen konnte. Diese wurde schließlich nur stationär durchgeführt. Per Facebook wurden zu diesem Aufmarsch auch verschiedene Neonazis, wie beispielsweise Thomas Wulff, eingeladen. Und es waren schließlich neben einer Handvoll Neonazis aus dem NPD- und Kameradschaftsumfeld auch Angehörige aus verschiedenen völkischen Familien aus Niedersachsen anwesend.
Ein gutes Jahr später instrumentalisierte der Hamburger Landesverband der AfD den Tod eines erstochenen Jugendlichen an der Binnenalster, um im Gedenken an diesen mehr Sicherheit zu fordern und gegen Geflüchtete zu hetzen. Aufgrund des massenhaftes Protestes um den Kundgebungsort am Hamburger Hauptbahnhof blieb die Veranstaltung mit ca. 100 Teilnehmenden überschaubar. Der Kampf um die Straße war für die AfD in Hamburg ein ziemlicher Reinfall.
Rassistische Kundgebungen in Hamburg 2018

Anderthalb Jahre nach dem letzten Versuch der AfD, in Hamburg eine Demo durchzuführen, begannen im Februar 2018 Kundgebungen unter dem Motto „Merkel muss weg“ (im Weiteren MMW). Insgesamt 13 Mal fanden diese bis November 2018 am Jungfernstieg, Gänsemarkt, Dammtor und Hauptbahnhof statt und wurden unter dem Titel „Michel, wach endlich auf“ im April 2019 fortgesetzt, wobei die Organisator_innen weitestgehend identisch blieben. Seit Beginn wollen die Kundgebungen als bürgerlicher und legitimer Protest wahrgenommen werden. Da die ersten Versammlungen von Frauen angemeldet wurden, verfing in der von klassischen Geschlechtervorstellungen geprägten Öffentlichkeit diese Wahrnehmung zunächst. Allerdings hatte die erste Anmelderin Uta Ogilvie bereits in der Vergangenheit auf dem rechten Blog „Tichys Einblick“ publiziert. Durch antifaschistische Recherchen unter anderem von EXIF Recherche&Analyse wurde außerdem nach der zweiten Versammlung auf den extrem Rechten Thomas Gardlo als eine zentrale Person in der Organisation der Proteste hingewiesen, so dass auch der Hamburger Verfassungsschutz Ende Februar 2018 äußerte: „Die eigentlichen Initiatoren haben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zum Teil einen Vorlauf in rechtsextremistischen Strukturen und entstammen auch dem Türsteher- und Althooligan-Milieu“.

Auch Redner wie der einschlägig verurteilte Michael Stürzenberger oder das Pegida-Gründungsmitglied Siegfried Däbritz, Schilder mit Drohungen wie „Ihr seid bald weniger!“, „Gegen die Verräter Deutschlands! Kriminelle Ausländer + abgelehnte Asylbewerber raus“ ließen erkennen, dass der Versuch sich als legitimer und bürgerlicher Protest darzustellen nur als Fassade zur Artikulation von rassistischen, verschwörungstheoretischen und menschenverachtenden Vorstellungen diente. Den Kundgebungen schlossen sich im Laufe der Zeit neben Führungskadern der NPD auch Burschenschafter der Hamburger Germania, Mitglieder der neofaschistischen Identitären Bewegung, rechte Hooligans sowie bekannte Holocaustleugner an.
Das Verhältnis zwischen AfD & „Merkel muss weg“

Bereits nach der zweiten MMW-Kundgebung, die von starkem antifaschistischen Gegenprotest begleitet wurde, behauptete der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Wolf, die Meinungsfreiheit für kritische Bürger sei in Hamburg in Gefahr. Das Eintreten für das Recht auf freie Meinungsäußerung kennzeichnete auch in den folgenden Monaten die öffentlichen Äußerungen von AfD-Funktionsträger_innen zu den Kundgebungen und stellten diese als bürgerlichen Protest dar. Gleichzeitig wurde durch eine Kleine Anfrage und Pressemitteilungen versucht, die mediale Aufmerksamkeit auf den politischen Gegner zu lenken, indem Antifaschist_innen als Verfassungsfeinde diskreditiert wurden. Die AfD begleitete nicht nur durch die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion die Kundgebungen, durch den Hamburger Landesverband rief sie am 2. März 2018 auch zur Teilnahme auf. Außerdem lud die Fraktion Uta Ogilvie am 19. März 2018 als Rednerin ins Rathaus ein. Am gleichen Tag und nur eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn fand die 7. MMW-Kundgebung statt, sodass Teilnehmende der Kundgebung direkt ins Rathaus gehen konnten. Trotz Äußerungen der AfD, dass es keine Kooperationen mit Gruppen wie Pegida gebe, übernahmen AfD-Funktionär_innen aus Hamburg und umliegenden Bundesländern Aufgaben, die wesentlich die Kundgebungen prägten.

Für eine bundesweite Beachtung in sozialen Netzwerken der Rechten sorgte unter anderem Marie-Thérèse Kaiser, die im Laufe des Frühjahres 2018 in den AfD-Kreisvorstand Rotenburg-Wümme gewählt wurde. Auf den Kundgebungen stand sie als Korrespondentin für Lifestreams rechter Youtube-Beiträge zur Verfügung. Mit ihrer Selbstinszenierung als mutige Frau war sie im Frühjahr 2018 eine der sichtbarsten AfD-Funktionär_innen bei den Hamburger Anti-Merkel-Demo und anschließend am 27. Mai 2018 Rednerin auf einer bundesweiten AfD-Demo in Berlin. Auch das Videoprojekt „Nobel & Frei“ des ehemaliges Bezirksvorstandsmitglied der AfD Hamburg-Nord und des AfD-Landesverbands Hamburg Moritz Lahn veröffentlicht neben Berichten von Landesparteitagen und Diskussionsveranstaltungen auch Videos von den Hamburger Veranstaltungen. Neben der medialen Verbreitung durch AfD-Mitglieder beteiligten sich die drei AfD-Funktionäre aus Mecklenburg-Vorpommern, nämlich Dennis Augustin (ehemals Sprecher des AfD-Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern), Johannes Salomon und Steffen Reinicke (beide Beisitzer im Kreisvorstand Rostock) auch mit Redebeiträgen an den Kundgebungen. Zum Kern der Organisation der Versammlungen wird der nahezu bei jeder Veranstaltung anwesende Reiner Bruhn, Kandidat der AfD zur Kommunalwahl im Landkreis Ludwigslust-Parchim, gezählt. Am 14. April 2019 fungierte er als Versammlungsleitung und steht zudem im Impressum der neuen Facebookseite „Heimat-Patriotismus-Zukunft“, über die für die extrem rechte Kundgebung mobilisiert wurde. Damit übernimmt das AfD-Mitglied Bruhn eine zentrale Verantwortung bei MMW. Ihn unterstützten im April 2019 aus dem Vorstand der AfD Eimsbüttel Sven Freitag (Beisitzer) und Martin Lemke (Schriftführer und Kandidat der AfD zur Bezirkswahl in Hamburg), die seit der ersten Stunde an den MMW-Aufmärschen teilnahmen.
Strategie: Das eine tun, das andere nicht lassen

Die Beispiele der genannten AfD-Mitglieder und die von ihnen übernommenen Aufgaben bei MMW verdeutlichen einerseits, dass zentrale Aspekte der Kundgebungen durch AfD-Funktionär_innen bestimmt werden. Zum anderen zeigt dies, dass ohne die organisatorischen Kapazitäten und das politische Erfahrungswissen dieser Personen möglicherweise kein „ Deutscher Michel, wach endlich auf“ stattfinden würde. Sich weder zu distanzieren noch zu der Zusammenarbeit zu bekennen scheint als Strategie der AfD aufzugehen. Gegenüber der Öffentlichkeit kann sie sich weiterhin als bürgerliche Partei darstellen, während AfD-Funktionär_innen in Hamburg gemeinsam mit Neonazis demonstrieren, Bündniserfahrungen sammeln und rassistische und menschenverachtende Hetze auf die Straße tragen. In anderen Bundesländern wird bereits deutlich, wohin eine strategische Allianz zwischen AfD und Neonazis führt. So rief der bekannte Neonazikader Thorsten Heise vor wenigen Tagen seine Anhänger_innen dazu auf, bei der anstehenden Landtagswahl in Thüringen mit der Erststimme die AfD und mit der Zweitstimme NPD zu wählen. Ob sich die NPD in Hamburg bei der kommenden Bürgerschaftswahl zu diesem Schritt hinreißen lässt, ist fraglich.
Stand der Recherche: 26. September 2019
Dieser Artikel basiert auf der umfangreichen und bereits im April 2019 veröffentlichten Dokumentation und Analyse der antifaschistischen Recherche-Plattform EXIF Recherche & Analyse.