Kaltes neoliberales Blau: Die AfD Hamburg und die soziale Frage
Gastbeitrag von Dirk Schwarzer
Sozialpolitik gilt als eine Art Achillesferse der AfD, ein Thema, bei dem es am ehesten zu Spaltungen in der Partei kommen könnte. Zwei Richtungen stehen sich gegenüber: Auf der einen Seite der marktradikale Flügel um die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alice Weidel und den Bundessprecher Jörg Meuthen, auf der anderen Seite eine sozialpopulistisch-völkische Richtung, dessen Vertreter*innen man vor allem im extrem rechten Flügel um Frontmann Björn Höcke findet.
Die Marktradikalen fordern eine Politik im Sinne der Deutschen Wirtschaft, wie Kürzungen der sozialen Haushalte, Steuererleichterungen für Großkonzerne, Privatisierungen und andere Maßnahmen auf Kosten von Arbeitnehmer*innen, Rentner*innen und Bezieher*innen staatlicher Leistungen. Eine solche Position hat eine lange Tradition in der extremen Rechten und auch die AfD begann als eine Partei, die u.a. nationalkonservative und neoliberale Standpunkte verbinden konnte. Leute wie der Hamburger Professor Bernd Lucke, die gegen die sogenannten Rettungsschirme der Europäischen Union für südeuropäische Staaten polemisierten, prägten das Bild der Partei in der Anfangszeit und auch nach dem Austritt einiger bekannter Neoliberaler ist diese Richtung nicht verschwunden.
Zwischen marktradikal und sozialpopulistisch
Auf der anderen Seite gerieren sich die Sozialpopulist*innen als Beschützer der „kleinen Leute“. Ihre sozialpolitisch weitestgehende Forderung ist die Ausweitung der gesetzlichen Altersvorsorge und ein Aufschlag für Bezieher*innen kleiner Renten, letzteres aber nur für Menschen mit deutschem Pass. Die Marktradikalen wollen das nicht mittragen, vertreten sie doch das Gegenteil, eine weitere Rentenprivatisierung.
Allerdings ist die soziale Frage bei der AfD immer der nationalen Frage untergeordnet. Deutschland soll eine homogene Gesellschaft mit möglichst wenig Migrant*innen sein. Das verbindende Element der verschiedenen Flügel ist vor allem Rassismus und Flüchtlingsfeindlichkeit, auch wenn die Völkischen dies besonders drastisch äußern. Dementsprechend werden soziale Probleme von der AfD meistens auf Flucht und Migration zurückgeführt. Damit hat sie nicht nur einen Sündenbock, sondern verschleiert auch die Ursachen dieser Probleme.
Soziale Frage ist immer der Nationalen untergeordnet
Die Hamburger AfD steht traditionell dem marktradikalen Flügel nah, was eine rassistische Haltung keineswegs ausschließt. Im Wahlprogramm für die Bürgerschaftswahl 2015 wurde die Ausrichtung deutlich: Die Partei versteht sich als „Partner der Wirtschaft“, sie fordert die unbedingte Einhaltung der Schuldenbremse und dass die Stadt sich von einem Großteil ihrer Unternehmensbeteiligungen trennen solle. Die Schlagworte heißen mehr Wettbewerb in allen Bereichen, weniger Regulierung, Abbau von bürokratischen Vorschriften und Stärkung des Leistungsprinzip – mehr Neoliberalismus ist kaum möglich.
Zwar ist der ehemalige Parteivorsitzende, der wirtschaftsliberale Professor Jörn Kruse, 2018 aus der Partei ausgetreten und sein Nachfolge Bernd Baumann (laut Eigenbeschreibung ein Vertreter von konsequent marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik) mittlerweile als Bundestagsabgeordneter in Berlin, doch an den Positionen hat sich bis heute nicht viel verändert. An den Äußerungen der Vertreter*innen von Partei und Fraktion ist zu erkennen, dass sie sich für soziale Fragen nicht sonderlich interessieren und falls ausnahmsweise doch, sie diese entweder – wie oben erwähnt – mit Flüchtlingsthemen verbinden oder weiterhin Politik im Sinne der Wirtschaftsinteressen machen wollen.
Einfache Formel: Mietendeckel ist gleich Sozialismus
Beispielhaft dafür ist die Sommerausgabe der Fraktionszeitung „Uns Hamburg“ 2019. Neben den üblichen AfD-Themen, wie Migrant*innen, die sich angeblich Asyl erschleichen und vermeintliche Linksextremist*innen an Hamburger Schulen, erfahren wir die Gründe für den drastischen Anstieg der Mieten. Diese sind laut dem Bürgerschaftsabgeordneten Detlef Ehlebracht, Mitglied des Stadtentwicklungsausschusses: „Migrationsdruck, Singlehaushalte, Landflucht, Überregulierung und überzogene Anforderungen, etwa durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Energieeinsparverordnung“. Hier zeigt sich das Prinzip der AfD, soziale Fehlentwicklungen u.a. auf Einwanderung und Migration zu lenken. Eine Lösung für die Thematik hat Ehlebracht nicht, nur die vage Vorstellung, dass man weg von der Objektförderung und hin zur Förderung von Bedürftigkeit müsse. Dafür weiß er genau, was nicht hilft: Nämlich ein Mietendeckel, denn das sei schließlich eine „reale Sozialismus-Variante“, womit er sich eindeutig auf die Seite der Hausbesitzer und Immobilienunternehmen geschlagen hat.
In der Generaldebatte der Bürgerschaft vom 11.12.2018 zum Hamburger Haushalt wurde wieder einmal klar, dass die Partei an ihrer grundsätzlichen Ausrichtung festhält. In der Rede des Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolf verglich dieser die Stadt Hamburg mit einem Kaufmann, der „momentan positive Ergebnisse nicht einfach in die Zukunft fortschreibt und deshalb vorsichtig haushalten müsse“. Schon der Vergleich ist entlarvend, ist es doch ein alter neoliberaler Grundsatz, dass eine Stadt wie ein Unternehmen geführt werden müsse. Sozialpolitisch wichtig für Wolf ist, dass der Schuldenstand deutlich reduziert wird und dass gleichzeitig Steuern (wie die Gewerbesteuer) gesenkt werden. Wie dieser Verteilungswiderspruch aufgelöst werden soll, verriet er nicht, jedoch gab er einige Hinweise auf der AfD nicht genehme Maßnahmen, wie interkulturelle Projekte und das Busbeschleunigungsprogramm des Senats. Auch der öffentliche Dienst ist ihm ein Dorn im Auge. Insbesondere kritisierte er die angeblich steigende Anzahl der dort Beschäftigten. Was diese zu erwarten hätten, wenn die AfD eines Tages wirklich Einfluss auf den öffentlichen Dienst hätte, kann man sich vorstellen.
AfD definiert Armut nicht als strukturell, sondern als selbstgemacht
Wie steht die Hamburger AfD zum Niedriglohnsektor, zu Hartz IV, zur Armut in Deutschland? Der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Harald Feineis ist Mitglied im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration. Am 22.5.2019 antwortete er auf den Antrag der LINKEN „Mut gegen Armut: Hamburg braucht eine behördenübergreifende Anti-Armutsstrategie“: „Armut lässt sich weder durch Sozialleistungen beheben, die nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, noch durch Erhöhung des Mindestlohns. Nicht der Niedriglohnsektor ist Ursache von Armut, sondern mangelnde Chancen der Armut zu entfliehen.“ Als Gegenmaßnahme empfiehlt er individuelle Weiterbildung. Mit anderen Worten, er ist kein Anhänger, sondern ein Gegner des Sozialstaats, der in Jahrzehnten erkämpft (und dann stückweise wieder abgebaut) wurde. Stattdessen glaubt er in typisch neoliberaler Manier, dass jeder Mensch allein zurechtkommen müsse und wer zu wenig Lohn bekommt, sei selbst schuld.
Doch das allein reicht Feineis nicht. Seine Sorge ist zudem, dass es in Hamburg massenhaft Menschen geben könnte, die zu viel Hartz IV beziehen und die dies umgehend zurückzahlen sollten. Am 27.6.2019 stellte er eine Kleine Anfrage an den Senat, in der geklärt werden sollte, wie oft Sozialleistungen durch Betrug bezogen wurden und wie viele Empfänger*innen ihren Meldepflichten nicht nachkommen, weil sie z.B. in den Urlaub fahren. Die Absicht, Empfänger*innen von Sozialleistungen pauschal zu denunzieren, ist leicht zu durchschauen. Unsozialer geht es nicht.
Solidarisch mit Chefs: A.I.D.A.
Natürlich gibt es von der sogenannten Arbeitnehmerorganisation „Arbeitnehmer in der AfD“ (A.I.D.A.) keinen Widerspruch gegen diese Politik. A.I.D.A. wurde 2014 in Lüneburg gegründet, um in Norddeutschland gezielt mit rechtspopulistischen Positionen sympathisierende Arbeiter*innen zu unterstützen und um in den Betrieben Fuß zu fassen und dort den Gewerkschaften das Wasser abzugraben. Zentrale Figur und Gründungsmitglied von A.I.D.A ist Robert Buck, ein ehemaliger SPDler, der heute Beisitzer im Landesvorstand der AfD Hamburg ist. Auf seiner Facebook-Seite liest man viel über seine Abneigung gegen Klimapolitik und die GRÜNEN, aber wenig über soziale Belange von Arbeitnehmer*innen. Als Mitte Januar 2019 die Gewerkschaft ver.di das Sicherheitspersonal am Hamburger Flughafen zum Warnstreik aufrief, zeigte er sich nicht solidarisch mit den Beschäftigten. Vielmehr lautete sein Facebook-Kommentar: „Das Wichtigste in dieser Situation ist immer fair zu bleiben – auf beiden Seiten!“. Damit liegt er genau auf Linie mit A.I.D.A, die ebenfalls äußerst entgegenkommend gegenüber den Arbeitgebern agiert. Die geringe Resonanz auf diese hochgradig unternehmerfreundliche „Arbeitnehmervertretung“ zeigt, dass die Parole von A.I.D.A. „Das neue Rot der Arbeitnehmer ist blau“ so schnell wohl kaum in Erfüllung gehen wird.
Fazit: Die AfD Hamburg verbindet problemlos marktradikale und rassistische Positionen und steht jederzeit auf Seiten von Wirtschaft und Unternehmern und nicht – wie von ihr proklamiert – auf der Seite des „kleinen Mannes“ (wer immer das sein mag). Klar hingegen ist: Allen Lohnabhängigen, prekär Beschäftigten, Menschen, die Transferleistungen beziehen, Kranken, Pflegebedürftigen, etc. wird diese Politik mit Sicherheit nicht weiterhelfen.