
AfD im Rathaus: Angriff auf die Gesellschaft
Ein Gastbeitrag von Christiane Schneider (Abgeordnete DIE LINKE)
Der AfD-Fraktion hing vor allem in ihren ersten Jahren in der Bürgerschaft, manchmal aber noch bis heute der Ruf an, vor allem eines zu sein: faul, inkompetent, ideenlos. Wäre das die Hauptkritik, dann bedürfte es dieses Portals nicht. Richtig ist, dass sich die AfD lange Zeit an sachlicher Arbeit selten beteiligt; dass ihre Abgeordneten in Ausschusssitzungen durch Schweigen und Interesselosigkeit auffielen. Das ist überwiegend bis heute so.
Seit einiger Zeit betont die Hamburger AfD-Fraktion bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die AfD eine „im Kern bürgerlich-konservative Partei“ sei (z.B. Hamburger Abendblatt vom 20.8.19). Tatsächlich versucht die Fraktion, sich den Anstrich des „Moderaten“ zu geben. Ein Höcke-Kurs würde ihr in Hamburg eher schaden, und die Provokationen und krawalligen Auftritte, die man von den AfD-Abgeordneten im Bundestag kennt, kämen hier eher schlecht an und sind deshalb bisher vergleichsweise selten. Ab und zu versuchen AfD-Abgeordnete der zweiten Reihe sogar, in Bürgerschaftsdebatten Argumente vorzubringen. Aber das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der AfD darum nicht geht. Im Übrigen leugnen Nockemann und Wolf, die beiden Fraktionsvorsitzenden, die unübersehbare Rechtsentwicklung der AfD nur, sie kritisieren sie nicht. Kritik an und Auseinandersetzung mit den Rechtsaußen Höcke oder Kalbitz oder auch Meuthen und Gauland, der wie kein anderer in kalkulierten Vorstößen („Vogelschiss“, „Entsorgung“, „Machtergreifung“) die Grenzen des Sagbaren verschiebt, wurden nicht bekannt.
Reden werden fürs Netz, nicht fürs Parlament gehalten
Die AfD-Abgeordneten, das lässt sich nach viereinhalb Jahren AfD in der Bürgerschaft sagen, halten ihre Reden nicht für die Auseinandersetzung im Parlament. Ihre beiden Fraktionsvorsitzenden nutzen das Parlament zur Selbstinszenierung und als Bühne, um Themen zu platzieren und Schlagworte in die Welt zu setzen. Sie halten ihre Reden, um sie im Internet zu veröffentlichen und so ihre Anhängerschaft einzuschwören und zu mobilisieren. Deshalb bleibt die AfD in der Bürgerschaft auch unbeeindruckt von Argumenten jeder Art.
Vor allem die sozialen Medien sind ein wichtiges Forum, auf dem die AfD aktiv ist wie keine andere Bürgerschaftsfraktion. Hier erreicht sie ihre Anhängerschaft, hier setzt sie auch Themen. Hier bedient sie das Ressentiment, das vor Jahren noch vor allem am Stammtisch gepflegt wurde, und verhilft ihm zu Öffentlichkeit. Jedes Liken, jedes Teilen, jeder Hasskommentar bestätigt, vervielfältigt und bestärkt es. Selbst unverhüllte Vergewaltigungs- und Tötungsphantasien bleiben auf der Facebook-Seite der AfD-Fraktion immer wieder über längere Zeit unbeanstandet stehen.
Was sind ihre Themen und Schlagworte? Ich habe ich mir einmal etwas systematischer die Schriftlichen Kleinen Anfragen von Dirk Nockemann, Hamburger Partei- und Fraktionsvorsitzender, Law-and-Order-Frontmann, früher Schill-Partei, angeschaut. Ein ganz erheblicher Teil dieser Anfragen kennt nur ein Thema: die Markierung von „Migranten“, vor allem muslimischen „Migranten“, als kriminell. Kriminalität erscheint bei Nockemann nahezu ausschließlich als Problem, das sich zuordnen lässt, nämlich „denen“, die anders sind als „wir“, fast immer geht es um muslimischen „Migranten“.
Nockemanns Thema: Markierung von „Migranten“ als kriminell
Das ist der Sinn von Anfragen wie zum Beispiel „Muslimische“ oder „Arabischstämmige Intensivtäter in Hamburg“ (Drs. 21/17977 bzw. 21/17976). In diesen Anfragen geht es weniger um die Problematik „Intensivtäter“, es geht um Zuschreibung. Es geht nicht um männlich geprägte Gewalt, sondern um ein angeblich ethnisch-kulturelles Phänomen. Um Zuschreibung geht es auch in der Anfrage 21/18082: „Gewaltkriminalität und das soziale Klima in Wilhelmsburg“. Dieses „soziale Klima“ wird, suggeriert Nockemann, belastet durch „Übergriffe“ und „sexuelle Nötigungen“ „überwiegend von Migranten aus Osteuropa, Afrika und dem Mittleren Osten“ sowie durch „öffentliche(s) Zelebrieren islamischer Rituale“. Auch hier werden Gewalt/Kriminalität, Migration und Islam verknüpft und als Ursache von Störung identifiziert.
Kleine Anfragen stehen in der Parlamentsdatenbank und werden in der Regel selten gelesen. Aber nach diesem Muster agiert die AfD-Fraktion auch auf ihrer Facebook-Seite: Hier werden immer wieder mal Polizeimeldungen gepostet oder Artikel aus Boulevardzeitungen oder der Jungen Freiheit, in denen von Gewalt insbesondere gegen Frauen und von „südländischen“ oder „dunkelhäutigen“ Tatverdächtigen die Rede ist – und zwar ausschließlich solche: Es geht dabei eben nicht um Gewalt, sondern darum, dass Gewalt offensichtlich nur von „den anderen“ ausgeübt wird. Was übrigens meist auch impliziert, dass „Dunkelhäutige“ oder „Südländer“ eben nicht „Deutsche“ sein können, jedenfalls nicht wirklich. Und noch fast jedes Mal fordern solche Posts Kommentare heraus, in denen (Massen)-Vergewaltigungen herbeigewünscht werden für, meist für Politikerinnen, die die Rechte sozusagen des Verrats am Deutschtum bezichtigt und als Hassfiguren herauspräpariert.
Alles, was in den parlamentarischen Initiativen noch als Spleen einzelner erscheinen mag oder auf Facebook als unsystematisch, hat jedoch System. Dieses System hat der Hamburger AfD-Bundestagsabgeordnete Baumann auf Einladung der Fraktion am 19.8.19 in einer Rede vor tobendem Publikum im Großen Festsaal des Rathauses deutlich gemacht.
Bei der Veranstaltung ging es um „arabische Clans“ und den „Kampf der Kulturen“. Zunächst begrüßte Baumann erst einmal herzlich „all die Alten Kämpfer“ (Min. 1:00) und knüpft damit beiläufig an eine Nazi-Tradition an ( „Alte Kämpfer“ wurden die Nazis genannt, die vor 1933 in die NSDAP eingetreten waren). Er versprach: „Wir fangen ja erst an, hier mal aufzuräumen“ (3:38), um dann zu seinem Punkt zu kommen: „zu einem der „schlimmsten Themen: das Hereinbrechen einer ganz anderen, fremden Kultur in Deutschland …“ (4:39).
Wie die AfD für den „Kampf der Kulturen“ mobilisiert
Über 30 Minuten lang widmete er sich der scheinbar überwältigenden Gefahr von Clans, die mit polizeilichen Mitteln nicht mehr zu bewältigen sei, zumal die Polizei selbst unterwandert sei. Dieser Gefahr sei „Deutschland“ durch Merkel und Linksgrün ausgeliefert worden. Klar gebe es auch Migranten, die sich „vernünftig integrieren“, die er aber nur nannte, um „bestimmte Gruppen“ als die grundsätzlich Anderen zu markieren. Entscheidend sei die Herkunft: Kriminalität sei ethnisch-kulturell bedingt. Womit er die unauflösliche Verbindung von Herkunft und Kriminalität nahelegte. „Kulturunterschiede können riesig sein, und wir wollen diese Auswüchse einer fremden Kultur nicht in unserem Heimatland. Das müssen wir nicht dulden, das wollen wir nicht dulden, und das werden wir auch nicht dulden.“ (37:33) Und noch einmal, nach einem Ausflug in die politischen Systeme im Mittleren Osten: „Wir sehen, die Kulturunterschiede können gigantisch sein. (…) Wir müssen den massiven Angriff orientalischer Großfamilien auf uns und unseren Rechtsstaat abwehren. Wir müssen unsere eigene Kultur bewahren, unsere deutsche und europäische Identität bewahren. Sie sind die Voraussetzungen unserer Freiheit. Wir wollen nicht orientalisiert werden.“ (40:40)
Hier geht es nicht einfach um eine bestimmte Kategorie von Kriminalität, die sog. Clan-Kriminalität. Hier geht es um die Instrumentalisierung von Phänomenen von Kriminalität für den Aufruf zum „Kampf der Kulturen“. Samuel Huntington, auf den sich Baumann expliziert berief, erklärte in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ (München 1998) das Zusammenleben verschiedener Kulturen in einem Land für unmöglich. Genau das hat Baumann thematisiert.
Islamhass als Instrument zur Destabilisierung der Demokratie
Strukturell unterscheidet sich der vom Hamburger AfD-Bundestagsabgeordneten Baumann verwendete Begriff der „Orientalisierung“ (der sich mit dem von der Rechten verwandten Begriff der „Islamisierung“ weitgehend überschneidet) nicht vom Begriff der „Verjudung“, der in den 1920er Jahren aufkam und der Verdrängung der jüdischen Bürger*innen aus ihren Berufen, ihren Wohnungen, ihren Geschäften, aus dem Kultur- und Bildungswesen usw., aus dem gesamten gesellschaftlichen Leben und schließlich dem Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden den Weg bereitete. Anfang 2017 wies der Journalisten Alan Posener in einem Beitrag zu „Islamisierung als Kampfbegriff“ auf eine zweite Funktion des Begriffs der „Verjudung“ hin: er diene dazu, die Demokratie als „verjudet“ zu diskreditieren. „Der Islamhass dient dazu, mit der Parole von der ,Islamisierung des Abendlandes‘ der Demokratie die Kapitulation vor dem Islam zu unterstellen und dadurch zu diskreditieren.“
Der Hamburger Baumann hat das mit seinem Auftritt im Rathaus bestätigt. Auch die AfD-Bürgerschaft bestätigt das in ständiger Praxis: Sie verbindet in parlamentarischen Anfragen, in Facebook-Posts, mit ihrem „Islamspiegel“ usw. Kriminalität und Religion/Kultur, Kriminalität und Herkunft. Sie lenkt damit die von realen Entwicklungen unabhängig existierende Kriminalitätsangst größerer Bevölkerungskreise auf die Mühlen antidemokratischer, autoritärer sowie rassistischer und völkischer Strategien.
Der AfD das Wasser abgraben!
Was tun? Die AfD ist für Argumente nicht erreichbar. Sie argumentiert nicht. Deshalb lässt sich bei ihr mit Argumenten nichts gewinnen. Aber dennoch wir müssen ihre Narrative und ihre Ziele argumentativ auseinandernehmen, immer wieder neu. Um ihr das Wasser abzugraben: zu verhindern, dass sie weiter mit ihren Schlagworten und Bildern in das Denken und Fühlen eindringt, dass sie die gesellschaftlichen Diskurse zunehmend bestimmt, dass sie Terrain gewinnt, neue Felder besetzt. Was bedeutet denn: „Wir wollen nicht orientalisiert werden!“ in der Praxis? Die brutale Wahnidee der „Entorientalisierung“ oder „Entislamisierung“ führt in einen Abgrund von Gewalt, Vertreibung, Vernichtung und Selbstzerstörung. In einer Gesellschaft, in der die Einzelnen voneinander abhängig und aufeinander angewiesen sind wie in keiner Gesellschaft zuvor, gibt es keine lebenswerte und lebensfähige Alternative zum demokratischen, friedlichen, gleichberechtigten Zusammenleben. Dafür stehen wir, und das müssen wir gegen die AfD verteidigen