Die Auseinandersetzung um eine*n Antisemitismusbeauftragte*n

Ein Gastbeitrag von Hanno Plass*

Vor wenigen Wochen beschloss die Hamburgische Bürgerschaft die Einrichtung der Stelle einer*s Antisemitismusbeauftragten. Diese Stelle verfolgt unter anderem das Ziel, eine Ansprechperson für die Zivilgesellschaft zu sein, Teil der Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und eine Steigerung der Sichtbarkeit jüdischen Lebens. Vorangegangen war der Anschlag von Halle an der Saale am Jom Kippur, der auch in Hamburg zu Stellungnahmen sämtlicher Bürgerschaftsfraktionen geführt hatte, die den unisono Anschlag verurteilten.

Doch die Schaffung der Stelle eine*s Antisemitismusbeauftragten in Hamburg kam nicht aus heiterem Himmel. Seit 2018 wurden erst auf Bundes- und nachfolgend aus Landesebene Antisemitismusbeauftragte ernannt. Der Bundestag folgte damit einer Empfehlung des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus.

Lange Debatte rund um die Stelle im Parlament & Sozialausschuss

In der Hamburgischen Bürgerschaft war die Einrichtung eines/r Antisemitismusbeauftragten bereits im Dezember 2016 Gegenstand der Diskussion. Die CDU hatte einen Antrag eingebracht, eine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus nach Berliner Vorbild einzusetzen. Der Antrag wurde in den zuständigen Fachausschuss überwiesen; Dort kritisierten die Vertreter*innen von SPD, Grünen und Linken den Antrag wegen der zu geringen finanziellen Ausstattung, seiner dürftigen Begründung und seines latent xenophoben Tons.

Nach einiger Diskussion in Bürgerschaft und Ausschüssen griff die AfD-Fraktion Anfang September 2018 in die Debatte ein und beantragte, einen Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus zu berufen. Die CDU reichte zwei Wochen später einen eigenen Antrag ein, der sich – nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz und Björn Höckes Bemerkung, das Holocaus-Mahnmal in Berlin sei ein „Mahnmal der Schande“ – vom Antrag der AfD abgrenzte. Dieses Vorgehen entspricht durchaus der parlamentarischen Praxis, Themenfelder eigenständig und in Abgrenzung zu anderen Fraktionen zu besetzen. Intention der CDU war die Deutungshoheit über die Themenstellung eines Antisemitismusbeauftragten zu behalten.

In ihrer Petita ging die CDU über ihren vorherigen Antrag von 2016 hinaus, nannte jedoch keine konkrete Summe mehr, mit der die Stelle ausfinanziert werden sollte. Die Petita der CDU von 2018 entsprachen nahezu wortgleich denen der AfD: Der Senat wurde aufgefordert, alsbald die Stelle eines Antisemitismusbeauftragten zu schaffen, der von einem Expertengremium beraten werden und der Bürgerschaft jährlich über seine Arbeit Bericht erstatten solle. In der entsprechenden Bürgerschaftssitzung wurde der Antrag der AfD abgelehnt, der Antrag der CDU zur weiteren Erörterung den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überwiesen.

In dessen Sitzung vom 16. April 2019 debattierten Vertreter*innen von SPD, Grünen, CDU und der Linken sowie die fraktionslose Abgeordnete Nehabat Güçlü den Antrag der CDU. Die FDP beteiligte sich nicht an der Diskussion, die AfD war bei der Sitzung nicht anwesend. Cansu Özdemir, Vorsitzende der Linksfraktion und Ausschussvorsitzende gab ihren Kolleg*innen noch den Hinweis, dass die Linke einen Zusatzantrag nachgereicht habe. Dieser war nicht Gegenstand der Erörterung, unterschied sich von den anderen beiden Anträgen, dass neben der Jüdischen Gemeinde auch die (geplante) Stiftung der Gedenkstätte Neuengamme und andere Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft ein Gremium bilden sollten, das unter Einbeziehung der bisherigen Erfahrungen der Antisemitismusbeauftragten von Bund und Ländern die Aufgaben, Verfasstheit und die nötigen Ressourcen einer solchen Stelle erörtern und dem Senat entsprechende Vorschläge unterbreiten sollte.

Der Ausschuss vereinbarte, einen Fachtag der Behörde für Soziales zu Antisemitismus Mitte Juni abwarten zu wollen. An diesen Diskussionsstrang knüpft die entscheidende Ausschusssitzung vom 6.12.2019 an, in der der Themenkomplex Antisemitismusbeauftragte*r diskutiert wurde. Einen Monat später fiel dann die oben angeführte Entscheidung.

Die AfD kennt keinen rechtsextremen Antisemitismus

Die AfD in Hamburg thematisiert Antisemitismus stets und zuerst im Zusammenhang mit der (vermeintlichen) Herkunft der Täter, so auch ihren Antrag für einen Antisemitismusbeauftragten. Einzig bei der Bürgerschaftsdebatte um den Anschlag von Halle an der Saale am 23. Oktober 2019, ließ sich Alexander Wolf darauf ein, von einem „rechtsextremen Täter“ zu sprechen; jedoch ist diese Einlassung nur der Ausgangspunkt, sich selbst als Opfer von ‚Intoleranz‘ zu stilisieren und auf islamische Einrichtungen wie DITIB und das Islamische Zentrum Hamburg überzuschwenken.

Genau dieses rhetorische Moment ist für die Auseinandersetzung der AfD mit dem Antisemitismus kennzeichnend: Antisemitismus wird „exterritorialisiert“, wie Astrid Messerschmidt festhält. Es gehört zur „Eintrittskarte“ in die politische Arena, sich gegen Antisemitismus zu äußern, wobei antisemitische Bemerkungen, Ausfälle etc. nicht automatisch zu einem Ausschluss führen, jedoch in der Regel zu einer Skandalisierung und einer Verpönung. Daher ist eine De-Thematisierung des deutschen Antisemitismus und der geschichtspolitische Angriff auf die bundesdeutsche Gedenklandschaft für die AfD von immenser Bedeutung. Auf „islamischen“ bzw. „muslimischen“ Antisemitismus sich zu konzentrieren, erfüllt genau die Funktion vom eigenen Antisemitismus abzulenken. Dabei helfen Xenophobie und anti-muslimischer Rassismus die Türen in die „Mitte“ der Gesellschaft zu öffnen.

Durch seine Exterritorialisierung, einer Art „Antisemitismus der anderen“, wird Ausgrenzung von und Gewalt gegen „Gemeinschaftsfremde“ legitimiert. Der Ausschluss von „Gemeinschaftsfremden“ wird durch den völkischen Zuschnitt, den die AfD mehr und mehr annimmt, theoretisch und praktisch unterlegt. Um den antisemitischen Grundpfeiler des völkischen Denkens zu kaschieren, muss dieser ausgelagert werden. Zusätzlich bemühen sich Teile der AfD eines „selektiven Philosemitismus“, der sich vor allem einer ausdrücklich pro-israelischen Haltung ausdrückt.

Der völkischer Burschenschafter Wolf markiert Rechtsdrift der AfD

In Hamburg passen Anträge, Debattenbeiträge und Schriftliche Kleine Anfragen der AfD genau in dieses Muster. Punkten kann die Partei damit nicht. Bei den Schritten, die zum Wiederaufbau der ehemals größten Synagoge Nordeuropas am Hamburger Joseph-Carlebach-Platz (ehemaliger Bornplatz) führen soll, ist die AfD nicht beteiligt.
Zu ihrer grundsätzlich rechten Orientierung gewinnt die Hamburger AfD mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolf eine deutliche Rechtsdrift. Die Leichen im Keller Wolfs sind nicht nur die Herausgabe eines nazistischen Liederbuches, sondern auch seine anhaltende Förderung der rechtsextremen Burschenschaft Danubia in München. Um das von Wolf mit getragene Danuben-Haus spinnt sich ein Netz aus extreme Rechte, Identitäre Bewegung, Geschichtsrevisonisten, Neonazist(inn)en bis in Kreise von Neonazi-Terroristen des ehemaligen „Freien Netz Süd“ um Martin Wiese.

Für die Burschenschaft spielt eine kritische Aufarbeitung ihrer Geschichte im Nationalsozialismus keine Rolle. Neben viel Glorie für die reaktionären Freikorps-Mitglieder in ihren Reihen, wird in ihrer Festschrift apodiktisch festgestellt, dass nach 1920 keine Juden in die Danubia aufgenommen wurden. Die antisemitischen (und rassistischen) Beschlüsse der Deutschen Burschenschaft werden – noch 1998 – kommentarlos aufgeführt. Vor dem Hintergrund dieses Milieus gewinnt die systematisch betriebene „Exterritorialisierung“ des Antisemitismus einen politischen Sinn. Verkleidet als hanseatische Bürgerliche sollen die reaktionären Biedermänner weit entfernt erscheinen von völkischen Brandstiftern.

*Hanno Plaß ist Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin. Der Artikel wurde AfD-Watch Hamburg vor der Bürgerschaftswahl zugeschickt, aus organisatorischen Gründen erscheint er erst nachher.