Angesichts des schrecklichen antisemitischen Anschlags in Halle mit zwei Toten lohnt es sich, einen Blick auf den Umgang der AfD mit dem Thema Antisemitismus zu werfen. Scheinheilig verschickte Spitzenkandidat Nockemann heute eine Pressemitteilung, in der er die „abscheulichen Taten“ und den „Angriff auf die freiheitliche Demokratie“ beklagte und forderte: „Der Antisemitismus – egal welcher Couleur – muss konsequent und mit allen Mitteln bekämpft werden. Das sind wir nicht zuletzt den Opfern und ihren Hinterbliebenen schuldig!“
AfD-Fraktionschef verharmloste rechten Antisemitismus
Vielmehr sind wir es den Opfern schuldig, derartige Stellungnahmen als Lippenbekenntnisse zu entlarven und darauf hinzuweisen, welche Rolle die AfD für die zunehmende Akzeptanz von Gewalt gegen religiöse und andere Minderheiten spielt. Nicht umsonst kommt in Nockemanns Stellungnahme nicht einmal das Wort „rechts“ vor. Noch im Sommer 2018 schrieb der Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Wolf: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass der in den Medien gern beschworene sogenannte ,rechte‘ Antisemitismus wohl ein aufgebauschtes Problem ist“. Und er mutmaßte, dass die polizeilichen Kriminalstatistiken zur Erfassung von antisemitischen Straftaten nicht hinreichend präzise seien.
Es verwundert wenig, dass ein völkischer Burschenschafter, der als Student noch ein Buch mit verbotenen nationalsozialistischen Liedern herausgegeben hatte, ein beschwichtigendes Verhältnis zu neonazistischem Antisemitismus pflegt. Wolf hatte noch 2015 den Tag der Befreiung vom Faschismus als wie „in alten Honneker-Zeiten“ bezeichnet. Wo sich der „in Deutschland herrschende politisch-mediale Komplex“ bei einer „Gauck-Zeremonie“ wieder einmal „vollaustoben könne(n), in Schuldbekenntnissen und untertänigsten Dankbarkeitsbezeugungen“.
AfD-Spitze: Verurteilungen von Judenfeindschaft sind Lippenbekenntnisse
Und so müssen auch die aktuellen Beleidsbekenntnisse und Verurteilungen von Judenfeindschaft durch die AfD-Spitze vor allem als taktisches Moment analysiert werden. Selbstverständlich posteten auch der Hamburger Landesverband und die Fraktion auf ihren Facebookseiten die Stellungnahme der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, wonach „Antisemitismus und Extremismus, egal welcher Art“ eine Gefahr sind. Mit Antisemitismus müsste Weidel allerdings zuerst in ihrem eigenen Wahlkreis aufräumen. Mehrere Teilnehmer einer AfD-Besucher-Gruppe aus ihrem Wahlkreis in Neuruppin hatten 2018 bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen Nazi-Verbrechen verharmlost, einer sogar die Existenz von Gaskammern geleugnet. Dieser Gast von Alice Weidel hätte am 7. Oktober eigentlich seinen Prozess in Oranienburg antreten müssen, erschien allerdings nicht vor Gericht.
Wenn die AfD heute Antisemitismus verurteilt und sich zu Israel bekennt, so ist dieses entweder ein reines Lippenbekenntnis, um von diversen diesbezüglichen Problemfällen in der Partei abzulenken. Oder rein taktisch fast ausschließlich gegen muslimischen Antisemitismus, aber nicht gegen den rechten, „deutschen“ Antisemitismus gerichtet. Dieser wird konsequent kleingeredet und negiert. So lautet denn auch eine Schlüsselforderung der AfD-Hamburg zur Bürgerschaftswahl 2015, dass „im Kampf gegen den Rechtsextremismus“ staatliche Bundes- und Landesmittel „teilweise umgewidmet“ werden müssten, „aufgrund der geänderten Bedrohungslage […], zu Gunsten der Bekämpfung von Linksextremismus und Islamismus“ (Wahlprogramm AfD Hamburg 2015, S. 18). Ein Hohn angesichts der wachsenden Anzahl von Opfern rechter Gewaltverbrechen, von Terrorismus und Übergriffen, begangen von Leuten wie dem mutmaßlichen Täter von Halle, der die angebliche jüdische Weltverschwörung, die Antifa und den Feminismus angreifen wollte – ein mittlerweile allzu gut bekanntes Feindbild.
Einen ausführlichen Gastbeitrag zum Antisemitismus der AfD Hamburg von Markus E. Schmidt können Sie hier lesen. Der Beitrag ist vor dem antisemitischen Attentat von Halle verfasst worden.