Die Brandmauer bröckelt

Udo Lindenberg anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft 2022 in der Hamburger Bürgerschaft während einer Rede des AfD-Fraktionsvize Alexander Wolf. Die AfD stimmte mehrheitlich gegen ihn. Eine Anzeige der AfD gegen den Panikrocker wurde eingestellt. Mit freundlicher Genehmigung des Ehrenbürgers (#udolindenberg).
Udo Lindenberg anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft 2022 in der Hamburger Bürgerschaft während einer Rede des AfD-Fraktionsvize Alexander Wolf. Die AfD stimmte mehrheitlich gegen ihn. Eine Anzeige der AfD gegen den Panikrocker wurde eingestellt.
Mit freundlicher Genehmigung des Ehrenbürgers (#udolindenberg).

„Brandmauer“ ist zu einem geflügelten Wort geworden und meint u.a. die inhaltliche, personelle und parlamentarische Distanzierung von der AfD als parlamentarischem Arm der extremen Rechten.

Die AfD wird wegen und nicht trotz ihrer rassistischen Migrationspolitik gewählt; ihre Wahlerfolge lassen sich nicht durch eine Anpassung an ihre Themen – insbesondere in der Migrationspolitik – verhindern. Das belegen auch aktuelle Studien [1, 2, 3]. Genau das aber tun die CDU, Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung insgesamt, wenn sie viele Abschiebungen fordern und Haftlager an den EU-Außengrenzen nicht verhindern. Sahra Wagenknecht baut Brücken ins Lager der extremen Rechten. Und die CDU will auf europäischer Ebene eine Zusammenarbeit mit der postfaschistischen italienischen Regierung und anderen rechten Parteien nicht mehr ausschließen.

In diesem Beitrag zeigen wir am Beispiel Hamburgs, wo diese Distanz nicht mehr ausreichend gewahrt wird oder ins Wanken gerät. Dabei gehen wir exemplarisch auf Diskurse, parlamentarische Arbeit, zivilgesellschaftliche Kampagnen und personelle Überschneidungen ein.

Vom Rechtsruck zur bröckelnden Brandmauer

Wie bundesweit, so zeigen auch in Hamburg die demokratischen Parteien Anzeichen eines Rechtsrucks. Einige exemplarische Beispiele: Die rot-grüne Regierung in Hamburg hat als erstes Bundesland die sogenannte Bezahlkarte mit einer Bargeldgrenze von 50 Euro für Flüchtlinge eingeführt – trotz vielfacher Kritik daran.

Der Umgang der SPD-geführten Sozialbehörde mit obdachlosen Menschen während der Corona-Pandemie hat ein ganz bestimmtes Bild vom Menschen offenbart. Plötzlich obdachlos gewordene Menschen wurden ihrem Schicksal überlassen, weil die Stadt sich weigerte, Hotelunterkünfte zur Verfügung zu stellen.

Koalitionsräson und Fraktionszwang untergraben das Abstimmungsverhalten in der Bürgerschaft und die damit verbundene Unabhängigkeit der Abgeordneten. Besonders deutlich wurde dies bei der Abstimmung über den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum NSU-Komplex. Als eine Abgeordnete der Grünen nicht der Parteilinie folgte, weil sie den Beschluss nicht mittragen konnte, wurde sie aus ihrem Amt entfernt.

Die Affäre um den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU (NSU-PUA) zeigt aber auch deutlich, wie schwer sich die Parteien damit tun, eigene Versäumnisse bei der Aufklärung von Neonazi-Verbrechen offen zu legen. Ähnlich verhält es sich mit der fehlenden Aufarbeitung der Brechmitteleinsätze, für die Olaf Scholz (SPD) damals grünes Licht gab. Noch immer weigern sich politisch Verantwortliche hartnäckig, Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen.

Der fehlende Wille zur Aufklärung eigener Vergehen und die Tendenz zur autoritären Formierung zeigen sich auch in den Vorgängen um Polizeigewalt, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und anderen staatlich organisierten Rechtsbrüchen rund um den G20-Gipfel, für die Andy Grote (SPD) maßgeblich verantwortlich ist. Die Polizei und der zuständige Senator blieben bisher weitgehend unbehelligt. Auch die anhaltende Verweigerung einer angemessenen und unabhängigen Aufklärung der Vorfälle gefährdet demokratische Grundprinzipien und damit einen Rechtsruck. Besorgniserregend ist aber auch die Tendenz, angesichts des wachsenden Einflusses rechtspopulistischer Kräfte wie der AfD Law-and-Order-Positionen zu stärken.

2022 nahm die CDU Jörn Kruse auf, den ehemaligen Chef der Hamburger AfD. Christoph Ploß, Vorsitzender der Hamburger CDU, bekennender Friedrich-März-Fan, stramm konservativ, neoliberal und ein Feind gendergerechter Sprache, hatte 2021 empfohlen, seine Partei solle sich ein Beispiel an der österreichischen ÖVP nehmen. Die ÖVP bildete von 2017 bis 2019 eine Koalition mit der rechtsextremen FPÖ. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR) kommentierte damals, mit diesem Schritt sei auch in der CDU die Brandmauer nach rechts gefallen.

Durch die Übernahme rechter Positionen, Law-and-Order-Strategien und sozialer Härte verschieben sich auch die Trennlinien zu rechtsextremen Ideologien und Parteien wie der AfD und führen letztlich zu einer geringeren Widerstandsfähigkeit der Brandmauer.

Wie steht’s um die Brandmauer in der Hamburgischen Bürgerschaft?

Bei der Bürgerschaftssitzung am 28.2.2024 witzelte Dennis Gladiator von der CDU mit der AfD (Quelle: Bürrgerschaft, https://mediathek.buergerschaft-hh.de/sitzung/22/83/?rede=29257#top-5933, Min.: 26.40)
Bei der Bürgerschaftssitzung am 28.2.2024 witzelte Dennis Gladiator von der CDU mit der AfD (Quelle: Bürrgerschaft, https://mediathek.buergerschaft-hh.de/sitzung/22/83/?rede=29257#top-5933, Min.: 26.40)

Die Gefährdung der Brandmauer zeigt sich auch in der Hamburgischen Bürgerschaft. Wer die Debatten in der Hamburgischen Bürgerschaft vor Ort verfolgt, kann beobachten, wie sich CDU und AfD annähern. So scherzten laut einer Abgeordneten Thering (CDU) und Nockemann (AfD) während ihrer Rede (Protokoll 17.01.24). Dies geschah unmittelbar nach den Correktiv-Recherchen, als bundesweit bereits Hunderttausende demonstrierten und die Hamburger Kundgebung (19.01.) unmittelbar bevorstand. Das gleiche macht die CDU auch, wenn sie bei Themen, die ihrer Position entsprechen, so genannte Zusatzanträge zu den Anträgen der AfD stellt. Während alle anderen demokratischen Parteien das nicht tun, sondern die AfD inhaltlich stellen und entlarven, warum sie Themen nutzt oder woher ihr rassistisches Weltbild kommt. Genau das nutzt die AfD, um sich bürgerlich darzustellen und ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu verbreiten. Während die Mehrheit der Hamburgischen Bürgerschaft die einzelnen AfD-Abgeordneten für Wahlämter (wie die Härtefallkommission oder den Beirat für politische Bildung) aufgrund mangelnder Qualifikation für ungeeignet hält, erhalten sie mehr Stimmen als die AfD-Fraktion Mitglieder hat.

CDU-Mitglied Vosgerau und seine Verbindungen zur AFD Hamburg

Vosgerau im Hamburger Rathaus auf Einladung der AFD-Fraktion am
Vosgerau im Hamburger Rathaus auf Einladung der AFD-Fraktion am 29.02.2024
Quelle: Facebook

Der gebürtige Pinneberger und CDU-Mitglied Ulrich Vosgerau ist für seine Verbindungen sowohl zur CDU als auch zur AFD und auch für seine Affinität zu rechtsextremen Ideologien bekannt. Seit der Klage der AFD gegen die Bundesregierung 2015/2016 wegen der Grenzöffnung ist er umstritten. Die CDU scheint jedoch in den letzten Jahrzehnten wenig Interesse gehabt zu haben, sich von Vosgerau zu distanzieren, obwohl dieser seit Jahren in rechtspopulistischen und rechtsextremen Medien publiziert und in seinem Buch „Die Herrschaft des Unrechts: Die Asylkrise, die Krise des Verfassungsstaates und die Rolle der Massenmedien“ von „Postdemokratie“ und „Herrschaft des Unrechts“ schwadroniert.

Erneute Schlagzeilen machte er mit der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche und seiner Teilnahme am Rechtsextremisten-Treffen in Potsdam. Dort hielt es Vosgerau für denkbar, die Rechtmäßigkeit von Wahlen durch die Entwicklung von Musterschreiben in Frage zu stellen. Besonders brisant ist seine Beteiligung an der Erneuerung der Hamburger Verfassungspräambel, bei der er von der Hamburger AfD als Sachverständiger hinzugezogen wurde. Diese neue Passage der Präambel, die sich explizit gegen Rassismus, Antisemitismus und die Verherrlichung totalitärer Ideologien wendet, wurde in seinem Gutachten als wahnhaft abgetan. Als ihn die Hamburger AFD in diesem Frühjahr einlud, um über die angeblich wahren Vorgänge in Potsdam zu berichten, sah sich die Hamburger CDU schließlich gezwungen, sich von Vosgerau zu distanzieren. Ein vollständiger Artikel über Vosgerau und die Verbindung zu Hamburg finden Sie hier.

SWG – Verbindungen zwischen CDU und AfD

Die Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V. (SWG) ist wie Vosgerau ein weiteres Beispiel für personelle Verflechtungen zwischen AfD und CDU. Die 1962 gegründete SWG fiel schon früh durch geschichtsrevisionistische, rassistische und nationalistische Themen auf. Das HBgR warnt seit langem vor der SWG und berichtet regelmäßig über deren personelle und ideologische Verflechtungen. Erst am 5. März 2024 veröffentlichte das HBgR eine Pressemitteilung zu einem geheim gehaltenen Treffen.

Trotz dieser Ausrichtung wurde die SWG erst 2023 vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Die Nachsicht des Verfassungsschutzchefs Torsten Voß (CDU) könnte damit zusammenhängen, dass bei der SWG neben extrem rechten Referent*innen auch Politiker*innen von CDU und CSU referierten. So waren beispielsweise Stefan Ehmcke und Fedor M. Mrozek von der CDU für die SWG aktiv. Aktuell wird der Kieler CDU-Politiker Fedor M. Mrozek im Beirat der SWG genannt. Der AfD-Politiker Miguel Venegas leitet die Hamburger Sektion der SWG.

Sprachverbote als Mittel der Abgrenzung nach rechts

In anderen Landesverbänden ist es bereits vorgekommen, dass die CDU Abstimmungen mit der AfD gewonnen hat – zum Beispiel in Thüringen, wo ein Sprachverbot beschlossen wurde, das die Inklusion von nicht-binären und trans Menschen sowie Frauen verbietet. Genau an dieses Thema knüpft auch die Zusammenarbeit von CDU, AfD und NPD in Hamburg an. Dort hat sich eine Volksinitiative „Schluss mit dem Gendern in Verwaltung und Bildung“ gegründet, die die Möglichkeit der geschlechtergerechten Ansprache verbieten will. Die CDU unterstützt diese Initiative und sammelt an Infoständen Unterschriften. Auch die AfD und die NPD unterstützen die Initiative. Die Initiative spricht sich zwar gegen die Vereinnahmung durch die Parteien aus, distanziert sich aber nicht ernsthaft von AfD und NPD, die beide die Initiative unterstützen. Nachdem sich die Sprecherin der Volksinitiative queerfeindlich geäußert hatte, distanzierte sich der CDU-Fraktionsvorsitzende – wohlgemerkt nur gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, nicht gegen die ebenfalls angesprochene Diskriminierung von trans Menschen.

Die Brandmauer bröckelt

Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen, dass die Brandmauer gegen die extreme Rechte gefährlich bröckelt. Es ist dringend notwendig, diese Entwicklungen nicht nur zu benennen, sondern aktiv gegen die Normalisierung und Übernahme rechtsextremer Positionen vorzugehen. Demokratische Parteien, Zivilgesellschaft und Presse müssen klare Kante zeigen und sich entschlossen gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Ideologien positionieren. Nur so kann die Erosion der Brandmauer gestoppt und ein nachhaltiger Schutz demokratischer Werte gewährleistet werden.

Quellen

https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-studie-leuchtet-anstieg-der-afd-wahlbereitschaft-aus-54087.html (31.5.2024)

https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-008748 (31.5.2024)

https://taz.de/Studie-zu-Wahlerfolgen-rechter-Parteien/!5849870/ (31.5.2024)

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/europas-extreme-rechte-partner-fuer-die-union-100.html (31.5.2024)

https://taz.de/Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete-in-Hamburg/!5989217/ (31.5.2024)

https://taz.de/Hotels-fuer-Obdachlose-waehrend-Pandemie/!5677176/ (31.5.2024)

https://www.zeit.de/hamburg/2023-04/miriam-block-nsu-hamburg

https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Als-Achidi-John-starb-Ein-Brechmittel-Einsatz-und-seine-Folgen,brechmittel100.html

https://www.hbgr.org/7364-cdu-neumitglied-kruse-unterstuetzte-5-jahre-die-rassistische-politik-der-afd

https://www.hbgr.org/7417-rechtsextremes-geheimtreffen-in-hamburg-afd-dabei-cdu-auch